Prof. Tobias Eule

Extraordinarius für Rechtssoziologie

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Tobias Eule, geboren 1985 in Bremen, studierte zwischen 2005 und 2009 Soziologie an der London School of Economics und der Universität Cambridge studiert. Seine Doktorarbeit in Cambridge, eine ethnographische Studie der Anwendung von Migrationsrecht in deutschen Ausländerbehörden, wurde 2012 mit dem „Toby Jackman Prize for the most Outstanding Ph.D.“ ausgezeichnet. Seit Februar 2012 arbeitet Tobias Eule an der Universität Bern, zunächst als Assistent am Lehrstuhl Allgemeine Soziologie und ab August 2014 als Assistenzprofessor für Rechtssoziologie an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Er war darüber hinaus Gastwissenschaftler am Centre for Socio-Legal Studies in Oxford und Research Fellow am Department für Anthropologie der London School of Economics. Seit Sommer 2019 leitet er die Forschungsgruppe Rechtssoziologie des Departements Grundlagenfächer in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Institut für Sozialforschung, wo er Distinguished Research Fellow ist. Nach seiner Habilitation an den Rechtswissenschaftlichen und Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultäten der Universität Bern wurde er im Juni 2020 zum Privatdozenten mit Lehrberechtigungen an beiden Fakultäten ernannt.

Tobias Eule ist (ko-)Autor der Bücher Inside Immigration Law (Ashgate, 2014) und Migrants Before The Law (Palgrave 2018, übersetzt als Hinter der Grenze, vor dem Gesetz bei der Hamburger Edition 2020), Ko-Herausgeber von Sonderausgaben von Journal of Ethnic and Migration Studies (2017), Qualitative Studies (2018) sowie dem Journal of Organisational Ethnography (2020), und Associate Editor von Civic Sociology. Als Rechtssoziologe erforscht Tobias Eule die Nutzung und Wirkung von Recht in der Gesellschaft. Seine Forschung versteht Rechtsanwendung als Aushandlungsprozesse, in denen sich Menschen und Institutionen mit unterschiedlichen Ressourcen und Vorstellungen von Recht begegnen. Seine empirischen Studien tragen dazu bei, die Unterschiede zwischen Rechtstext, Rechtsideal und Rechtswirklichkeit – etwa im Bereich der Migrationssteuerung oder globaler Wertschöpfungsketten – zu erklären. Er beschäftigt sich auch mit neuerer Staatsforschung,  und mit Methoden qualitativer Sozialforschung, insbesondere der institutionellen Ethnographie.

Tobias Eule, born 1985 in Bremen, studied sociology at the London School of Economics and the University of Cambridge between 2005 and 2009. His doctoral thesis in Cambridge, an ethnographic study of the application of migration law in German immigration authorities, was awarded the "Toby Jackman Prize for the most Outstanding Ph.D." in 2012. Tobias Eule has been working at the University of Bern since February 2012, first as an assistant at the Chair of General Sociology and from August 2014 as Assistant Professor of Sociology of Law at the Faculty of Law. He was also a visiting scholar at the Centre for Socio-Legal Studies in Oxford and a Research Fellow at the Department of Anthropology at the London School of Economics. Since the summer of 2019 he has been head of the Sociology of Law Research Group  in cooperation with the Hamburg Institute for Social Research, where he is a Distinguished Research Fellow.

Tobias (co-)author of the books Inside Immigration Law (Ashgate, 2014) and Migrants Before The Law (Palgrave 2018, translated as Hinter der Grenze, vor dem Gesetz at Hamburger Edition 2020), co-editor of special issues of Journal of Ethnic and Migration Studies (2017), Qualitative Studies (2018) and Journal of Organisational Ethnography (2020), and Associate Editor of Civic Sociology. As a sociologist of law, Tobias Eule researches the use and effects of law in society. His research understands the application of law as a negotiation process in which people and institutions encounter each other with different resources and ideas of law. His empirical studies contribute to explaining the differences between legal text, legal ideal and legal reality - for example in the area of migration management or global value chains. He is also engaged in more recent state research, and in methods of qualitative social research, especially institutional ethnography.

Rechtsbewusstsein und Rechtsmobilisierung wohnungsloser Personen in der Schweiz und in Deutschland

Gefördert vom Schweizerischen Nationalfonds

(Projekt-Nr. 197688), Laufzeit: 01.02.2021 – 31.01.2025

Projektleitung:

Prof. Dr. Tobias G. Eule

Mitarbeitende:

Dr. rer. soc. Anna Wyss

Dipl. Jur. Katharina Winkler, M.S.W.

Am Departement Grundlagenfächer wird seit dem 1. Februar 2021 ein Forschungsprojekt zu Wohnungslosigkeit und prekären Wohnverhältnissen aus einer rechtssoziologischen Perspektive durchgeführt.

Das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderte Projekt untersucht in urbanen Ballungsgebieten in der Schweiz und in Deutschland, welche Bedeutung Recht für wohnungslose Familien zur Bewältigung ihrer Lebenslage hat. Das Projekt interessiert sich für das Rechtsbewusstsein von Personen, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind und dafür, ob sie rechtliche Instrumente mobilisieren und welche Erwartungen sie an das Recht haben. Zudem gehen wir der Frage nach, wie Recht in der Praxis dazu beitragen kann, die Marginalisierung von bestimmten Personengruppen zu reproduzieren und zu verstärken.  

Dabei baut das Forschungsprojekt auf bisherige Studien auf, die wichtige Ergebnisse über das Ausmass von Wohnungsnot einerseits und Hinweise auf mögliche wirksame Lösungen andererseits liefern. Viele Untersuchungen betonen, wie wichtig aktuelle Forschungen zur Perspektive von Betroffenen wären, um sowohl die Ursachen von Wohnungsnot als auch die Handlungsstrategien der Betroffenen genauer zu verstehen. Wir begleiten einzelne von Wohnungslosigkeit betroffene Personen über einen längeren Zeitraum hinweg und gehen der Frage nach, wie sie mit Recht umgehen und wie sie mit behördlichen Akteuren und Unterstützungsangeboten interagieren. Mittels einer ethnographischen Untersuchung aus einer Kombination von teilnehmender Beobachtung, biographisch-narrativen Interviews und strukturierter Befragung erfassen wir ein breites Verständnis von Recht und Staat der wohnungslosen Personen und untersuchen, wie sich dieses auf ihre Handlungsstrategien auswirkt.

Mit seinem qualitativen, rechtssoziologischen Ansatz verspricht das geplante Projekt die Datenlage zu verbessern, das Thema Wohnungsnot theoretisch zu verorten und dabei die Konzepte Rechtsbewusstsein und Rechtsmobilisierung gerade im deutschsprachigen Raum weiterzuentwickeln. Ein solcher Ansatz ist zudem hilfreich, um multiple und miteinander verschränkte Prekaritäten zu verstehen. Aufbauend auf dem interdisziplinären akademischen und beruflichen Hintergrund des Forschungsteams (Soziologie, Kulturanthropologie, Rechtswissenschaften und Soziale Arbeit) nähern wir uns mit den beiden rechtssoziologischen Konzepten Rechtsbewusstsein und Rechtsmobilisierung dem Thema Wohnungslosigkeit.

Was ist Wohnungslosigkeit?

Eine prekäre Situation

Wir verstehen Wohnungslosigkeit als eine prekäre Situation, die durch andere sozio-demographische und wirtschaftliche Aspekte hervorgerufen, mitkonstituiert oder verstärkt wird und die durch Unsicherheit, Instabilität, Verletzlichkeit sowie eine ungewisse Zukunft gekennzeichnet ist. Hierbei beziehen wir uns nicht nur auf die «sichtbare» Obdachlosigkeit im öffentlichen Raum, sondern auch auf die «unsichtbare» Wohnungsnot von Personen in temporären Einrichtungen oder ohne feste eigene Wohnung. Wir verstehen die wohnungslose Bevölkerung nicht als homogene Gruppe und berücksichtigen unterschiedliche Wege in und aus der Wohnungslosigkeit. So ist uns eine intersektionelle Perspektive wichtig, die berücksichtigt wie Wohnungslosigkeit von Klasse, Geschlecht, Ethnizität, Alter, Aufenthaltsstatus und Gesundheit beeinflusst wird. Damit im Zusammenhang stehend befasst sich das Projekt auch mit der Frage, wie wohnungslose Menschen staatlichen Interventionen und damit einhergehender sozialer Stigmatisierung und Entmündigung begegnen, aber auch wie sie diese herausfordern und welche rechtlichen, sozialen und räumlichen Taktiken sie dabei nutzen.

Ein Querschnittsthema vieler Rechtsgebiete

Das Problemfeld der Wohnungslosigkeit betrifft verschiedene Rechtsgebiete. Neben verfassungsrechtlichen und bundesrechtlichen Regelungen sind für die Wohnungslosigkeit insbesondere kantonal- bzw. landesgesetzliche Regelungen und Verordnungen sowie kommunale Massnahmen relevant. Betroffene sehen sich einer Vielzahl von potentiellen Ansprechpartner:innen sowie heterogenen kommunalen behördlichen Strukturen und Zuständigkeiten gegenübergestellt. Dies erschwert es wohnungslosen Personen zu verstehen, wer für sie zuständig ist und welche Rechte mobilisiert werden können.

Rechtsbewusstsein

Indem wir das Rechtsbewusstsein wohnungsloser Familien untersuchen, setzen wir das Verständnis und die Vorstellungen der Betroffenen hinsichtlich ihrer eigenen Lage ins Zentrum der Untersuchung. Forschungsergebnisse aus anderen Ländern und Rechtskontexten zeigen, dass dies über den rechtlichen Anspruch und das Design sozialpolitischer Maßnahmen hinaus für die tatsächliche Verbesserung der eigenen Lage entscheidend sein kann. Wir bauen hierbei auf dem aktuellen internationalen Forschungsstand, aber auch auf unseren eigenen Forschungserfahrungen auf, welche die Bedeutung informeller Informationsquellen vor dem Hintergrund eines undurchschaubaren rechtlichen und behördlichen Kontextes hervorheben.

Mobilisierung von Recht

Im Kontext der Mobilisierung von Recht interessiert uns, wie Betroffene ihre persönlichen Handlungsspielräume nutzen und wie letztere einerseits durch das eigene Rechtbewusstsein und andererseits durch die strukturellen und rechtlichen Voraussetzungen bedingt sind. Über Fallrekonstruktionen sowie die Begleitung von einzelnen betroffenen Personen über einen längeren Zeitraum hinweg untersuchen wir, wie unsere Forschungsteilnehmenden das Recht und behördliche Institutionen innerhalb asymmetrischer Aushandlungsräume navigieren. Auf diese Weise können wir sowohl die Handlungsfähigkeit Einzelner als auch die ihnen zugrundeliegenden ungleichen Machtgefüge berücksichtigen.

Legal consciousness and mobilisation of law among homeless people in Switzerland and Germany

Funded by the Swiss National Science Foundation

(Project No. 197688), Duration: 01.02.2021 - 31.01.2025.

Principal Investigator:

Prof. Dr. Tobias G. Eule

Project members:

Dr. rer. soc. Anna Wyss

Dipl. jur. Katharina Winkler, M.S.W.

From a socio-legal perspective, this project investigates the importance of law for homeless people to cope with their precarious living situation in urban areas in Switzerland and Germany. The project is thus interested in the legal consciousness of people experiencing precarious housing or homelessness and whether they mobilise legal instruments to improve their situation. In addition, it explores how law in practice contributes to reproducing and reinforcing the marginalisation of certain groups of people – for instance, when homeless people have no access to legal support and cannot exercise their rights.

In doing so, the research project ties in with previous studies that both provide important insights into the effects of housing shortage and give indications of possible solutions. Many studies emphasise that research on homelessness needs to take greater account of the perspectives of those affected to better understand both the causes of the precarious housing as well as the people’s coping strategies. Taking these suggestions seriously, we accompany homeless individuals over a longer period as this allows to understand better their challenges to deal with the law, for instance in everyday interactions with state officials and social workers. Applying an ethnographic approach that combines participant observation, biographic-narrative as well as semi-structured interviews, we aim at capturing how homeless people perceive, use and contest the law and how their engagement with the law impacts their everyday tactics of improving their living conditions.

With its qualitative, socio-legal approach and building on the interdisciplinary background of our research team (anthropology, law, social work and sociology), the project seeks to provide a more nuanced picture of precarious housing as well as to theorise homelessness and its relation to the law. In doing so, we also aim at further developing the concepts of legal consciousness and legal mobilisation, especially in the German-speaking countries. Such an approach also helps to capture the multiple and intersecting forms of precarity that homeless people suffer.

What is homelessness?

A precarious situation

We understand homelessness as a precarious situation that is caused, co-constituted or reinforced by other socio-demographic and economic aspects and is characterised by insecurity, instability, vulnerability and an uncertain future. We refer not only to ‘visible’ homelessness in public spaces, but also to the ‘invisible’ homelessness of people who live in temporary facilities or do not have their own homes. We do not understand the homeless population as a homogeneous group and consider different pathways into and out of homelessness. Therefore, an intersectional perspective that considers how homelessness is affected by class, gender, ethnicity, age, residence status and health is important to us. In this context, the project also looks at how homeless people are confronted with state intervention and the social stigmatisation and disenfranchisement that comes with it, but also how they resist it and what legal, social and spatial tactics they use to do so. The project then addresses the question of how homeless people confront state practices of governing the poor and concomitant social stigmatisation and disempowerment, but also how those affected by homelessness challenge such state practices what legal, social, and spatial tactics they use to do so.

A cross-cutting issue in many areas of law

The issue of homelessness affects various areas of law. In addition to constitutional and federal regulations, cantonal and municipal laws and ordinances are relevant for the governance of homelessness. In consequence, homeless people are confronted with a multitude of stakeholders, institutions and organisations with different – and at times conflicting – responsibilities, interests and tasks. This makes it difficult for homeless people to understand who is responsible for them and what rights they can claim.

Legal consciousness

By studying the legal consciousness of homeless people, we focus on their understanding and perception of their own situation. Findings from research in other countries and legal contexts show that in order to improve the situation of marginalized people, it is not enough to consider their specific rights or the design of social policy. Instead, it is vital to take their own perspectives and tactics seriously to find ways to improve their situation. We draw on current international research findings, but also on our own research experiences, which highlights the importance of informal sources of information against the backdrop of an illegible legal and regulatory context.

Mobilisation of Law

We are interested in how people affected by homelessness use their room for manoeuvre and how this is influenced both by their own legal consciousness and by structural and legal premises. By following homeless individuals over a longer period and by reconstructing their legal cases, we explore how our research participants navigate the law and state institutions within spaces of asymmetrical negotiation. In this way, we consider both people’s agency as well as the unequal power relations people are embedded in.